Amphi 2011: Sackpfeifen, digitales Brachiales und Kunstblutfontänen

Manchmal ist man gar nicht mal so unzufrieden, wenn die Vorhersagen der Wetterfrösche kräftig daneben liegen. Für Sonntag jedenfalls trifft dies zu – auf die Besucher des Amphi-Festivals im Tanzbrunnen. Die angekündigten Schauer, die Samstag zwischendurch immer mal wieder über die Köpfe der Goths, Cybergoths, Steampunks oder andere Gestalten der Schwarzen Szene hinwegzogen, blieben am zweiten Tag des „Orkus Open Airs“ aus. Und so mussten die oft leichtbekleideten weiblichen Fans nicht frieren, die mit langen Ledermänteln oder Gasmasken ausstaffierten Zuschauer dagegen gerne auch mal schwitzen.

Fotos: Besucher am Sonntag | Bands am Sonntag

Grund zu Schwitzen gab es aber nicht nur durch die sonntags ab und zu hervorblitzende Sonne, sondern vor allem durch Musik, die sich weit fernab der Charts von Mittelalterklängen über Wave- und Gothicrock bis hin zu Elektro- und Synthiepop sowie EBM und Industrial bewegte. Und egal, welche Klänge aus den Boxen kamen – Tanzen war immer angesagt. Mächtig Dampf und viel Bewegung gab es vor allem bei den basslastigen Elektrosounds von Bands wie Suicide Commando, Die Krupps und Hocico am Samstag sowie Feindflug und den EBM-Veteranen Nitzer Ebb am Sonntag.

Fontänen von Kunstblut

Weit mehr als nur ein Soundgewitter mitten hinein in die Magengegend ließen Agonize Sonntagnachmittag vom Stapel. Das Trio unterstrich seinen Aggrotech durch eine blutrünstige Bühnenshow, die den Veranstaltern sogar eine Warnung vorher wert war: „Es wird fies, häßlich und laut“, ging vor allem an die Eltern unter den Besuchern, dass diese ihre Kinder vor dem nicht jugendfreien Bühnentreiben in Sicherheit bringen konnten.

Denn der zunächst in Zwangsjacke von der Bühnendecke baumelnde Sänger Chris L., der kurz darauf blutüberströmtes „Opfer“ einer mit einem Schlachtermesser bewaffneten dunklen Gestalt wurde, war nun wahrlich nichts für sensible Kinderaugen. Und nichts für aufs gute Aussehen bedachte Fans in den ersten Reihen – die Tropfen der Fontänen roten Kunstblutes nicht nur im Bühnengraben zeugten anschließend vom wüsten Geschehen.

Flammensäulen und Schattenspiele

Kaum weniger spektakulär die Show der Mittelalterrocker Subway To Sally, die als Headliner auf der Open-Air-Bühne das Amphi-Festival beendeten: Feuerbälle und Funkenregen ließen den Auftritt nicht nur mit einem Knall starten, die pyrotechnischen Effekte zogen sich durch den gesamten Auftritt. Kaum verwunderlich also, dass der Titel „Feuerland“ von meterhohen Flammensäulen begleitet war.

Ganz so viel Spektakel herrschte im Staatenhaus nicht – dafür reichlich Schattenspiel. Bands wie In The Nursery, Das Ich oder Kirlian Camera machten sehr deutlich, dass Musik etwas für die Ohren, weniger für die Augen ist: Nur schemenhaft war das Geschehen auf Bühne auszumachen, bei Feindflug durchbrach grelles Blitzlichtgewitter das Dunkel und schien den tanzbaren Industrial auch optisch einhämmern zu wollen.

Flaniermeile modischer Extravaganz

Wesentlich mehr zu sehen gab es allerdings rund um das Sternenwellenzelt im Zentrum des Tanzbrunnens. Die Wege durch das ehemalige Bundesgartenschaugelände wurden zur Flaniermeile der verrückten Mode, manchmal auch der Eitelkeiten. Viele der 16.000 Besucher hatten sich aufwändig verkleidet, quer durch die Jahrhunderte und Welten gestalteten sich die Gewandungen. Vom mittelalterlichen Edelmann über die Dame im Rokokokleid bis hin zum futuristisch anmutenden Cyberpunk ging auch diesmal die Spannbreite.

Oft genug wurde man an die außerirdische Lebensform eines Borg erinnert, das Paar im Steampunkoutfit stellte bei Unbedarften wohl am ehesten einen Gedanken an Dr. Arliss Loveless und seine Begleiterinnen im Film „Wild Wild West“ her. Vieles war in mühevoller Arbeit handgefertigt, stundenlanges Stylen und Schminken machte den Look perfekt. Für alle jene, denen so etwas zu langwierig erscheint: Die große Händlermeile auf dem Gelände bot alles, was der Schwarzen Szene kleidungstechnisch am Herzen liegt.

The Sisters of Mercy 2012 am Start

So flugs, wie 2011 die Eintrittskarten weggingen, dürfte dies wohl auch für das Amphi-Festival des kommenden Jahres gelten: Denn schon jetzt haben die Veranstalter mit dem 21. und 22. Juli nicht nur den Termin für 2012 festgelegt, sondern mit The Sisters of Mercy einen szenebildenden Headliner an Land gezogen. Und zu den weiteren Bands wie Camouflage, den deutschen Elektropionieren DAF, Mono Inc. und Corvus Corax gesellen sich in den kommenden Monaten noch so einige hinzu. (Fotos: Helmut Löwe)

Fotos: Besucher am Sonntag | Bands am Sonntag

www.amphi-festival.de

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