Fährmannsfest 2017: Pogospaß sowie der Duft von Moder und Shit

Das große Zittern ging um in Hannover-Linden am Ende des Julis 2017: würde das Fährmannsfest am ersten Augustwochenende stattfinden können? Wenn ja, würde es in gewohnter Form stattfinden? Oder was bietet sich als Alternative an? Und warum das große Zittern? Dauerregen hatte die sonst eher gemächlich dahinfließenden Flüsschen Leine und Ihme in der letzten Juliwoche enorm anschwellen lassen, Hochwasser hatte die Wiese vor der Musikbühne am Weddigenufer stark unter Wasser gesetzt. Doch am Ende ging alles gut: das Hochwasser hatte sich zügig zurückgezogen, die Musikbühne des Fährmannsfestes vom 4. bis 6. August konnte wie geplant aufgebaut werden, das Gelände konnte wie geplant genutzt werden.

Bis auf eine kleine, kaum der Rede werte Ausnahme: der Untergrund war noch leicht aufgeweicht und Reste angeschwemmten Madders ließen ab und an überlriechende Duftwolken übers Areal ziehen. Welche sich während des Wochenendes zu den Klängen von Fiddler’s Green, Sondaschule und Großstadtgeflüster mit kräftig-deftigen und umherwabernden Aromen von Tabakwarenzusätzen vermengten. Ein seltsamer Odeur, der einem zwischnezeitlich in die Nase stieg. Aber der guten Laune und ausufernden Stimmung in keiner Weise einen Abbruch tat. Ebenso wenig wie der im Laufe des Samstags wegen des morgendlichen Regens verdammt schlammig gewordene Untergrund – ein Hauch von Wacken also auch am Ihmeufer.

Fotos vom Fährmannsfest: Bilder von Freitag | Bilder von Samstag

Wer so alles von der Muppet Show profitiert

Mit Banana Roadkill und The Picturebooks hatte der Freitag eine Besonderheit: zwei Zweimannkapellen direkt hintereinander. Und dabei stachen The Picturebooks aus Gütersloh besonders hervor: Das Duo mit seinem druckvollen Desert-Blues-Grunge-Schweinerock hätte jederzeit das Titty Twister in “From Dusk till Dawn” aufmischen können. Drummer Philipp Mirtschink wütete so dermaßen an seinem Schlaginstrument, dass Gitarrist und Sänger Fynn Claus Grabke ihn kaum aus heiterem Himmel „Animal“ nannte: der tierische Schlagzeuger von Doktor Goldzahns Band aus der Muppet Show darf gerne als eine Art Vorbild Mirtschinks gelten. Die Briten The Brew zauberten anschließend klasssischen Hardrock alter Schule aus dem Hut, welcher keineswegs alt oder gar abgeschmackt klang.

Und mit Fiddler’s Green hatte der Freitag einen guten Headliner: mit fröhlichem Irish-Folk-Punk samt Fiddle und Akkordeon macht kaum eine Band etwas falsch auf einem alternativen Musik- und Kulturfestival, und so lagen die Erlanger auch in Linden goldrichtig. Pogospaß vor der Bühne allenthalben, eine Wall of Folk statt einer Wall of Death – ohne sich auf die Fresse zu hauen sondern nur mit munterem Durcheinandermischen – lag voll im Trend. Bei solcher Musik fiel die nachmittägliche Aufforderung des Moderationsduos Stefan Henningsen und Jean Coppong an die Besucher, dass man wegen der schwierigen Finanzlage des Fährmannsfestes in diesem Jahr noch mehr saufen müsse, auf fruchtbaren Boden.

Dann doch eher durchwachsen

Dem musikalisch hochwertigen Freitag folge ein eher durchwachsener Samstag. Mit Brett war der kleine und knurrigere Bruder der Hamburger deutschen Grungehelden Selig zwar eine recht ordentliche Newcomernummer, doch das Heimspiel der danach folgenden Abstürzenden Brieftauben geriet irgendwie nicht zum Volltreffer von Hannoveraner Jungs. Lustig zwar, aber letztlich zu beliebig der immer gleiche Punkrhythmus mit wechselnden Texten. Wie überrascht war man da doch von den beiden Hassliedern auf Dummbeutel rechten Gedankengutes neueren Datums: Pegida musste ebenso einstecken wie Frauke, die Fotze. So richtig zünden wollte der Akademikerindierock der Hamburger-Schule-Vertreter Die Sterne auch nicht. Sehr verhaltene Publikumsreaktion auf die intellektuell herausfordenden Texte mit philosophischem Anspruch der recht spartanisch mitreißenden Musik. Na ja, Pech gehabt, sagten sich wohl Zuhörer und Band gleichermaßen.

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Rausgerissen am Samstag haben es da zum Glück Sondaschule. Denn die Mülheimer hatten so wie ihre Kollegen Fiddler’s Green am Vortag genau das korrekte musikalische Rezept: Mucke, die nach vorne losgeht. Der Skapunk des behüteten Sängers Tim Kleinrensing und seiner Bandkumpels ging flugs ins Gehör und in die Beine. Und Neues hatten sie ja schließlich auch noch im Koffer: Songmaterial aus dem brandneuen Album „Schere, Stein, Papier“, welches einen Monat zuvor veröffentlicht worden war. Der Pogo vor der Bühne nahm gefährliche Ausmaße an, den Leuten war’s egal, ob der Untergrund einem Modermoloch oder einer Schlammrutschbahn glich. Drauflosmusik, das wurde schon immer goutiert, so auch am 5. August. Der eintrittsfreie Sonntag lag zuerst in Hannoveraner, dann in Berliner Hand: Milliarden und Großstadtgeflüster aus der Hauptstadt lösten eine vierbandstarke Fraktion aus Niedersachsens Landeshauptstadt und Region ab.

Nun muss man nur noch abwarten, wie schnell sich der zerfurchte und rasenlose Untergrund am Weddigenufer wieder von seinen Wunden erholt. Bis zum ersten Augustwochenende des Jahres 2018 dürfte dies ja kein Problem sein, denn vom 3. bis 5. August ist ein neues Fährmannsfest angesagt – das 35. mittlerweile. (Fotos: Helmut Löwe)

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