Evanescence und viel elektronischer Schnickschnack auf „Synthesis“

Ein neues Album heißt nicht unbedingt einen Schwung voll neuer Songs. Auf dem vierten Studioalbum der US-Alternativerocker Evanescence gibt es dieser nämlich nur zwei, alles andere Songmaterial auf „Synthesis“ sind bekannte und bewährte Titel der Band in neuer Interpretation und mit neuer Instrumentierung. Und zwar als Art Rock meets Klassik meets Elektro. Hand angelegt, und zwar erheblich, hat David Campbell. Er versah das bisherige Werk von Sängerin Amy Lee und ihrer Mitmusiker mit neuen Arrangements, opulenter Symphonieorchestrierung. Toningenieur und Coproduzent Will Hunt (nein, nicht der Evanescence-Schlagzeuger) steuerte reichlich Programmierungsarbeit bei, griff tief in die Trickkiste digitaler Effekthascherei.

Der Anteil der Evanescencemusiker Jen Majura (Gitarre), Troy McLawhorn (Gitarrist), Tim McCord (Bassist) und Will Hunt (Schlagzeuger) war eher überschaubar. Am meisten fiel auf Hunt zurück, der mit elektronischen Drums Rhythmusarbeit leistete. Nahezu im alleinigen Fokus auf „Synthesis“ steht die Stimme Amy Lees. Und das meistert sie ausgesprochen gut, gesanglich ist die Scheibe ganz weit vorne. Musikalisch allerdings leider nicht voll und ganz. Denn da geht den Beteiligten der Spaß an elektronischem Schnickschnack manchmal zu weit.

Unnötige Rhythmus- und Klangsperenzchen

Es surrt, flirrt, wabert, zischt, wummert und vibriert digital oft auf Teufel komm raus. Fast so, als hätte Campbell ein bisschen Schiss davor gehabt, das Symphonieorchester seine opulente und exzellente Arbeit alleine verrichten zu lassen. Während Klavier, Violinen, Harfe, Celli, Bratschen, Posaunen und noch mehr Instrumente nach vorne hin den Hörer begeistern, drehen Synthies und Computer im Hintergrund oft unnötig ihre Runden und steuern Rhythmus- und Klangsperenzchen bei. Da wäre weniger doch mehr gewesen. Zum Beispiel in „Lacrymosa“, „Your Star“ oder dem neuen Song „Imperfection“, der mit gehörig viel EDM (Electronic Dance Music) aufwartet.

So etwas kann man auch zur Not dem Ambienttüftler Schiller überlassen oder Lindsey Stirling und ihren Musikern. Aber halt, Stirling ist ja auf einem der beiden neuen Songs, „Hi-Lo“ zu hören. Und was da ertönt, ist der übliche Stil der Violinistin, die sich bereits die Billboard Music Awards für das „Top Dance/Electronic-Album“ abholte. Schwierige Geschichte, das mit „Synthesis“. Auf der einen Seite ist es sehr rühmlich, dass sich Evanescence nicht darauf einlassen, mit einem profanen Best-of ins Rennen zu gehen, sondern aus ihre Songs viel Neues, Anderes und vor allem Spannendes herausholen. Auf der anderen Seite wirkt der überbordende Einsatz digitaler Musikunst wie ein Electronic Overflow. Für Fans der Band und von Amy Lee ist „Synthesis“ aber allemal eine kaufenswerte Platte. (Foto: P.R. Brown)

„Synthesis“ von Evanescence hat 16 Titel – einschließlich Overtüre – und eine Laufzeit von 61:02 Minuten. Das Album ist erschienen bei Sony Music.

Anspieltipps: Imaginary, Lithium, Lost in Paradise

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