Pearl Jam - Gigaton

Pearl Jam und „Gigaton“ – der Grunge ist längst erwachsen geworden

Wenn man eines der besten Debütalben ever veröffentlichte, wenn dieses Debüt dann auch noch gleichzeitig eine der besten Platten der 90er Jahre darstellt, dann ist es für eine Band stets schwierig, gleichermaßen gefeierte Nachfolger an den Start zu bringen. Da machen Pearl Jam keine Ausnahme. Schließlich wird jede Ankündigung einer neuen Studioscheiben mit Argusaugen beobachtet, jeder Song auf jeder Platte en detail seziert – dies von Kritikern und Fans gleichermaßen.

Und hin und wieder geht ein Aufschrei durch die Musikszene, wenn der geadelte Künstler, die als Nonplusultra verehrte Band mal was anders macht, als man es erwartet. Da machen Pearl Jam keine Ausnahme. Wie war doch der Aufschrei groß bei ganz, ganz vielen Fans, als Sänger und Frontmann Eddie Vedder mit seinen musizierenden Kumpels mit „Dance of the Clairvoyants“ den ersten Vorgeschmack auf das elfte Studioalbum „Gigaton“ gaben.

Schon anders als gewohnt

Pearl Jam 2020

In der Tat, das Lied war so gar nicht so, wie man es sich erwartet, wie man es sich erhofft hatte. Überhaupt nicht grungig war es. Irgendwie wavepoppostpunkrockig schien es gar, so sehr dass die Talking Heads als Referenz herhielten. Nun gut, in der Tat verhält sich „Dance of the Clairvoyants“ schon sehr anders, als man es von Pearl Jam gewohnt ist. Und das tun auch andere Songs auf dem Album, das sechseinhalb Jahre Zeit brauchte – so lang dauerte es, bis Pearl Jam den Nachfolger von „Lightning Bolt“ vom Oktober 2013 parat hatten.

Wer sich gerne im geerdeten und jugendlichen Grunge bewegt, sich an musikalischer Aufmüpfigkeit ergötzt, der tut sich mit „Gigaton“ sicherlich kein Gefallen. Denn auf dem neuesten Werk der Männer aus Seattle wird einmal mehr deutlich, dass die einst unverbrauchten und unangepassten holzfällerhemd- und jeanstragenden Störenfriede nicht mehr wirklich unverbraucht und unangepasst sind. Auch der Grunge wird halt mal irgendwann erwachsen und richtet sich im normalen Leben ein.

Wenn man nun aber glaubt, dass Pearl Jam die Lust an ihrer Musik irgendwie verloren haben, der irrt gar sehr. Denn nur weil Titel nicht mehr rebellisch klingen, klingen sie nicht langweiliger. Auch wenn „Dance of the Clairvoyants“ für pearljamsche Verhältnisse wirklich sehr ungewohnt daherkommt, so stellt man nach mehrmaligem Hören allerdings fest, dass sich die Band auch auf unerwartetem Terrain zu bewegen weiß. Erst recht auf Terrain, das sie schon seit längerem beackert. Wie sonst kann es wohl sein, dass die über sechs Minuten von „Seven O‘ Clock“ wie im Fluge vergehen.

Das tolle Dessert eines guten Menüs

Pearl Jam 2017„Quick Escape“ ist ein gehöriges und schweres Stück mit vielen musikalischen und kompositorischen Kniffen – und lässt doch keineswegs den straighten Rocker außer Sichtweite geraten. Das ausdauernde Gitarrensolo mit Bassduell zum Ende hin ist wie das tolle Dessert eines guten Menüs. Wer dann eher auf Gitarrenmucke mit Drive steht, der lässt sich gerne von „Never Destination“ einfangen, das ist so Rock’n’Roll halt, wie man es von „Backspacer“ kennt. Oder goutiert das folgende „Take the long Way“, weil, da ist auch Schmackes drin.

Warum sich Pearl Jam allerdings dazu entschieden haben, jene Songs mit hohem Akustikgitarrenanteil und balledesken Instrumentenspuren geballt an den Schluss des Albums zu packen, will sich nicht so ganz erschließen. Da hat man nämlich ganz stark das Gefühl, als wenn dem guten „Gigaton“ zum Ende des Weges hin die Luft ausgeht. Dabei ist doch gerade „Retrograde“ mit seiner musikalische Kulmination zum Schluss hin ein Stück, dessen Qualität ganz weit über irgendwelchem „Akustikkram“ liegt. Na gut, man muss ja halt nicht alles verstehen. (Foto oben: Danny Clinch; Foto unten: Universal Music)

„Gigaton“ von Pearl Jam hat mit zwölf Songs eine Laufzeit von 57:06 Minuten. Erschienen ist das Album auf dem Label Republic und wird von Universal Music vertrieben.

Anspieltipps: Quick Escape, Never Destination, Retrograde

pearljam.com

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