Wow, ein halbes Jahrhundert sind sie schon alt – und zeigen keinerlei Anzeichen für Schwäche. Die Scorpions, Deutschlands weltweites Hardrockaushängeschild Nummer eins, lassen es anlässlich des 50-jährigen Bandjubiläums nochmal so richtig krachen. Auf ihrer „50th-Anniversary-Tour“ packen die Hannoveraner einen großen Schwung ihrer Songs quer durch ihre Karriere aus. Und zeigen auf den Konzerten, dass sie trotz fortgeschrittenen Alters – Sänger Klaus Meine und Gitarrist Rudolf Schenker haben bereits 68 Jahre auf dem Buckel – noch ganz genau wissen, wo der Rockhammer hängt. Auch in Köln, wo die Scorpions in der Lanxess-Arena vor 10.000 Fans das erste ihrer fünf deutschen Nachholkonzerte geben.
Fotogalerie: Scorpions in der Kölner Arena 2016
Nachholkonzerte? Ja genau. Ursprünglich standen die Städte Köln, Leipzig, Frankfurt/M., Hamburg und Berlin schon im Frühjahr 2016 im Tourfahrplan. Doch eine Kehlkopf- und Luftröhrenentzündung von Meine sorgte für eine zwischenzeitliche Pause in Sachen Konzerte. Der Auftritt in der Hamburger Barclaycard-Arena am 21. März war nach nur einer halben Stunde vorbei – Meine war außer Gefecht gesetzt. Die Konzerte in der Republik wurden in den November verlegt. Geschadet hat dies keinesfalls: Meine ist in Köln nicht nur stimmlich wieder ganz und gar genesen, denn sein Gesang sitzt einwandfrei. Auch seine Bandkumpels sind quasi durchtränkt von Bock auf Rock.
Wie gelungene Rockshow geht
Die Scorpions zeigen dem Publikum, wie man eine durch und durch gelungene Rockshow veranstaltet: Schmissige Songs, vor zart bis knallhart, viel Interaktion mit den Fans, opulente Lichtshow und verdammt viel Aktion der Protagonisten auf der Bühne. Einschließlich Rockstarposing at its best: Da herrscht Wiegeschritt, Mikrofonständer werden über die Köpfe der Fans geschwenkt, Gitarren werden an ausgestreckten Armen hoch in die Luft gehalten, Ausfallschritte gibt es reichlich. Alles Dinge, die man womöglich bei anderen Musikern gerne belächelt, manchmal an den Rande der Peinlichkeit drängt; doch bei Meine, Schenker, dem zweiten Gitarristen Matthias Jabs und Bassist Pawel Maciwoda ist dies alles andere als peinlich, das ist irgendwie saucool und klasse.
Ach ja, der fünfte im Bunde darf keinesfalls vergessen sein: Mikkey Dee am Schlagzeug. Der ehemalige Drummer von Motörhead ersetzt seit September James Kottak, welcher wegen angeschlagener Gesundheit das Schlagzeughandwerk bei den Scorpions drangeben musste. Und mit Dee haben sich die Scorpions einen echten Volltreffer an Land gezogen. Der Blonde Schwede erweist sich als gnadenlos arbeitender Antreiber, bringt unglaublich viel Wumms in Songs wie „Dynamite“ und „Blackout“ und ist auch bei seinem fünfminütigen Solo weit, weit jenseits von Durchschnittstrommelware.
Lemmy und Rauchfontänen
Bei der Geschichte Dees staunt niemand, dass sich die Scorpions einer Hommage an den am 28. Dezember 2015 verstorbenen Motörheadfrontmann Lemmy Kilmister widmen. Während sich Dee bei „Overkill“ die Arme aus dem Leib trommelt – wie man es aus Motörheadzeiten kennt – huscht Lemmy in vielen Bildern über die Videowand. Ein schöner und auch wehmütiger Moment. Und wehmütig wird es ebenso, wenn sich das Quintett zum Akustikblock mit „Always somewhere“, „Eye of the Storm“ und „Send me an Angel“ ganz vorne am Laufstegrand versammelt. Das unvermeidliche „Wind of Change“ bekommt selbstverständlich auch seinen Platz, nicht mit Feuerzeug-, sondern mit Smartphonelämpchenlicht begleitet.
Fotogalerie: Scorpions in der Kölner Arena 2016
Den Dampf, den die Scorpions auf der Bühne machen, visualisiert die immerwährende Rauchfontäne aus Schenkers Flying-V-Gitarre während „Blackout“. Ach ja, ein bisschen psychedelisch will es werden, wenn ein Medley von Uraltsongs aus den 70er Jahren ertönt: „Top of the Bill“, „Steamrock Fever“, „Speedy’s coming“ und „Catch your Train“ werden von einem bunten Farbwirrwar begleitet. Da hat Meine dann auch noch gleich die passende Geschichte parat von Fahrten übers Kamener Kreuz und Erinnerungen an die legendäre Kölner Sporthalle, in der die Scorpions vor Jahrzehnten schon erfolgreich abrockten. Nach eindreiviertel Stunden ausgesprochen guter Rock’n’Roll-Unterhaltung schicken Meine & Co. die Zuschauer mit Knall, Flitterregen und „Rock you like a Hurricane“ nach Hause. Für den Fan mit dem Schild „Mein Geburtstag zusammen mit Scorpions“ wird es dann wohl ein unvergesslicher Geburtstag bleiben. (Fotos: Helmut Löwe)
Setlist
Going Out With a Bang
Make It Real
The Zoo
Coast to Coast
Medley Top of the Bill / Steamrock Fever / Speedy’s Coming / Catch Your Train
We Built This House
Delicate Dance
Always Somewhere
Eye of the Storm
Send Me an Angel
Wind of Change
Rock’n’Roll Band
Dynamite
Overkill (Motörhead cover)
Blackout
No One Like You
Big City Nights
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Still Loving You
Holiday (kurz a-cappella intoniert)
Rock You Like a Hurricane