Die Band Erdmöbel kommt zwar aus Köln, hat aber mit Karnevalsmusik nichts, aber auch gar nichts zu tun. Die deutschen Texte ihres Indie-Pop sind vertonte Lyrik, Wortakrobatik. In einer Pause der „Retrospektive“-Tour nahm sich die Band Zeit für ein Interview im urigen italienischen Restaurant „San Remo“ im Kölner Traditionsviertel Eigelstein.
Markus Berges (Gesang), Ekki Maas (Bass), Wolfgang Proppe (Keyboards) und Christian Wübben (Schlagzeug) plauderte bei Pizza, Antipasti freddo, Kölsch und Cola munter drauflos. Unter anderem über das Touren, warum Musik nicht einfach ist, man aber kein Abitur dafür braucht, mutige Entscheidungen und „provinziellen Selbsthass“ in Münster.
Schön, dass es mit unserem Treffen hier im San Remo, im urkölschen Veedel Eigelstein geklappt hat. Seid ihr eigentlich öfter hier?
Wolfgang: Durchaus- das ist unser Stammlokal. Wir haben um die Ecke unser Studio („Musikkollektiv Eigelstein“; d. Red.), und wenn wir dort produzieren, gehen wir oft hierhin. Da wir im Moment auf Tour sind, waren wir längere Zeit nicht hier.
Ihr seid seit Anfang Oktober auf Tour…
Ekki: Richtig, wir sind seit Oktober unterwegs (die Tour endet am 9. Dezember mit einem Konzert im Kölner Gloria; d. Red.), was sehr anstrengend ist; deswegen sitzen wir hier auch etwas mau rum. Gleich kommt aber Bier und es wird schlagartig besser – oder wir werden schlagartig müde (lacht).
Was war bislang das Highlight auf der Tour und was die größte Pleite, wenn es eine gab?
Ekki: Das Highlight ist das Auftreten und die Pleite ist alles andere. Nein wirklich, es macht nicht so viel Spaß auf Tour zu sein, weil man nur Auto fährt, wartet, und sich nie die Städte angucken kann. Dann aber ist man zwei Stunden glücklich auf der Bühne, das muss reichen für den Tag. Es ist eben anstrengend, so lange unterwegs zu sein und nichts Vernünftiges zu tun.
Christian: Wie wahr, du sprichst uns aus der Seele (lacht).
Eure Tour endet, wie die vieler anderer Kölner Bands auch, in Köln. Ihr tretet im Gloria auf…
Wolfgang: Darauf freuen wir uns schon drauf. Das hat Tradition, das letzte Konzert in Köln zu geben. Dann hat man den ganzen Klumpatsch hinter sich und kann so richtig abfeiern. Zu Gast ist dann Arndt Zeigler („Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“, jeweils sonntags 23:45 – 00:15 Uhr im WDR-Fernsehen; d. Red.). Der legt bei der After-Show-Party zu „Arndt Zeiglers wunderbare Welt des Pops“ auf.
Und was legt Zeigler auf?
Ekki: Musik, wie wir sie gut finden. Zum Beispiel Schnulziges aus den 60ern.Er steht auf so manche Abartigkeit, die uns gut zu Gesicht steht.
Ihr kommt aus Münster in Westfalen. Was hat Euch nach Köln verschlagen?
Markus: Wir haben dort lange gelebt, als Erdmöbel bereits drei, vier Jahre Musik gemacht. In Köln musizierten wir bereits auch schon länger und kannten deshalb die Stadt ganz gut. In Münster hast du als Musiker zwar auch gute Möglichkeiten, aber zum „Kunst machen“ herrscht in Köln einfach eine andere Luft. Ich wohne bereits seit 1995 in Köln, seit 1998 leben wir alle hier. Und etwa zur Zeit, als wir unser zweites Album veröffentlichten („Erste Worte nach Bad mit Delfinen“, 1999; d. Red.), galten wir als Kölner Band und das war etwas Positives. Köln hatte eine interessante Band mehr, und das war irgendwie toll. Während wir in Münster eine Art „provinziellen Selbsthass“ erlebten, war es in Köln einfacher: In Münster gilt: „was hierher kommt, kann ja eigentlich nichts sein“, in Köln ist das genau umgekehrt. Was aus Köln kommt, gilt immer als ganz großartig – in unserem Falle stimmt es natürlich (Gelächter).
Wenn man jemanden fragt, was ihm zu Köln und Musik einfällt, dann erhält man entweder die Antwort „Elektro“ oder „Karnevalsmusik“ und „kölsche Klänge“ wie sie BAP, Höhner oder Brings machen. Kommt ihr euch hier nicht etwas exotisch vor?
Ekki: Nein, überhaupt nicht. Wir wären da ja in jeder Stadt eine Art Fremdkörper, da wir nicht dasselbe machen, was die jeweilige Szene vorgibt. Und ich glaube auch nicht, dass Köln eine starke Popmusikszene hat. Es gibt nicht sehr viele Bands, und die haben auch kaum etwas miteinander zu tun. Karnevalsmusik ist da was anders – das ist „Gebrauchsmusik“. Die Musik aus den 80er, so wie Wolf Mahn oder BAP, das ist eindeutig Musik von früher. Zwischen denen und uns liegen fast 20 Jahre, obwohl es uns schon so lange gibt. Mit diesen Bands haben wir nichts gemein. In Hamburg oder Berlin wäre dies aber genau so. Dass wir in Köln wohnen, liegt vielmehr daran, dass wir uns hier als Personen wohlfühlen. Wir brauchen nicht das hier vorherrschende musikalische Klima.
Was uns aber nicht davon abhält, Karneval zu feiern, den finden wir super. Mir gefällt Karnevalsmusik, wenn ich genug Kölsch getrunken habe – auch die Höhner.
Die Medien lobhudeln Euch momentan nahezu ohne Ende. Ist das O.K. für Euch, wenn ihr über den grünen Klee hinweg gelobt werdet?
Ekki: Wenn etwas O.K. ist, dann ist es Lob. Weil man ja selber gut findet, was man macht. Und wenn das andere auch gut finden, dann freut einen das selbstverständlich. Komischerweise wird man öfter gefragt, wie es ist, wenn man so gelobt wird. Klar freut man sich wie ein Kind, wenn man gelobt wird. Und dann macht man die nächste Platte noch besser.
Die taz schrieb vor einiger Zeit, ihr macht „Musik für denkende Menschen“. In der Tat habt ihr keine einfachen, eingängigen Texte. Woher stammt die Inspiration dafür?
Markus: Nun gut – die taz hat das geschrieben. Aber unser Ansatz ist nicht, „Musik für denkende Menschen“ zu machen. Denn das heißt ja nichts anderes, dass unsere Musik für „kluge“ Menschen sein soll. Was natürlich Schwachsinn ist, dass man sich etwas darauf einbilden kann, unsere Texte zu verstehen. Schließlich denken doch alle Menschen. Wir wollen, dass die Texte Teil der Musik sind, die jeder verstehen kann. Dazu braucht man kein Abitur oder sonst irgendeinen Scheiß. Unsere Musik muss vor allem emotional funktionieren, und dazu muss man nicht schlau sein oder studiert haben.
Was kommt zuerst – Texte oder Musik?
Markus: Im Idealfall entsteht beides gleichzeitig. Meist habe ich eine Melodie im Ohr und schaue, was textlich dazu passen könnte. Der Text entsteht mit der Musik, die mich dann wieder auf andere textliche Ideen bringt. Ich schreibe die Texte gewöhnlich mit der Gitarre in der Hand. Aber das machen ja viele Songwriter.
Ihr seht euch also in der Tradition von Songwritern?
Ekki: Das ist Quatsch – es gibt überhaupt keine Popmusik, wo nicht Songs geschrieben werden. Dies auf das Wort „Songwriter“ zu reduzieren ist falsch. Singer/Songwriter oder Liedermacher ist eine Einschränkung dessen, was wir als Hintergrund haben – uns steht schließlich die gesamte Popmusik zur Verfügung, nicht nur das singer-/songwritermäßige. Klar schreibt Markus zuhause klassische Songs, aber man kann ihm im Studio nicht einfach irgendeine Band dahinter packen und dann sagen, „das ist jetzt auch Erdmöbel“. Bei den Beatles war’s ja auch nicht anders: Irgendjemand hat einen Song geschrieben, war Songwriter, aber was letztendlich hinterher als Aufnahme da war, das war das eigentliche Produkt. Mich ärgert es, dass es Journalisten oft nicht hinkriegen, Text, Musik, Arrangement, Sounds und Produktion als Einheit zu sehen. Denn ohne diese Einheit wären wir nicht Erdmöbel. Alles andere ist viel zu einfach – und so einfach ist Musik nicht.
Lasst ihr euch trotz der 16 Jahre seit Eurem ersten Album noch von anderen Musikern inspirieren?
Markus: Es gibt zwar zahllose Inspirationen, aber das Thema Vorbild spielt keine Rolle mehr. Ebenso wie das Lernen, welches früher noch eine große Rolle spielte. Ich bin immer auf der Suche nach Musik, die neu ist, die mich umbläst. Ich höre oft Musik, die ich nicht toll finde, aber interessant. Früher hat mich oft begeistert, wenn ich etwas hörte, was ich selber nicht spielen konnte – das ist aber schon lange nicht mehr der Fall. Inspiration muss aber nicht unbedingt musikalisch sein, sie kann auch aus anderen Quellen stammen.
Und woher?
Markus: Zum Beispiel aus Atmosphären, aus Filmen, von Reisen. Die Quellen der Inspiration, etwas anders zu machen als vorher, sind groß.
Stammen die Songs auf eurem jüngsten Album „Retrospektive“ aus der gesamten Karriere Erdmöbels?
Ekki: Wir haben alles durchgehört, was wir je gemacht haben. Und dabei festgestellt, dass die alten Sachen nicht schlechter sind, als das, was wir heute machen – nur sehr anders. Na ja, wir waren schließlich nicht mehr ganz so jung, als wir begannen. Und deswegen müssen wir uns auch nicht für das schämen, was wir früher gemacht haben.
Auf dem Album ist das gelandet, wo wir uns heute noch für interessieren, was uns heute noch frisch vorkommt. Einige Klassiker fehlen, weil wir die inzwischen langweilig finden. Wir finden, dass sich die Platte sehr abwechslungsreich anhört und die verschiedenen Phasen wiedergibt. Ein neues Stück ist auch drauf. Es heißt „Die Krähen“ und wir haben es speziell für diese Platte gemacht.
Und um was geht es darin?
Markus: Wir verraten nie, worum es in den Liedern geht. Da muss man selber mal hinhören und sich seinen eigenen Film vorführen lassen.
Wer hat entschieden, welche Lieder auf die Platte kamen. Gab es da eine demokratische Entscheidung?
Wolfgang: Wenn es eine demokratische Grundsatzentscheidung gewesen wäre, dann wäre ein Doppel- oder Dreifachalbum entstanden. Deswegen hat sich Ekki irgendwann hingesetzt und alles durchgehört.
Ekki: Ein Doppelalbum kam überhaupt nicht in Frage. Deswegen habe ich auf einer langen Fahrt zu einem Auftritt alles weggestrichen, was ich langweilig fand. Uns so ist es jetzt nur eine Platte – die sehr voll ist. Und Demokratie findet in eine Band ja auch gar nicht richtig statt. Irgendjemand muss etwas entscheiden, und die anderen sind einverstanden. Wenn das nicht funktioniert, dann kriegt man sehr, sehr schnell Probleme. Und da haben wir Glück, dass, wenn jemand mutig ist und etwas will, die anderen damit einverstanden sind. Wir haben mutige Entscheidungen gerne. (Fotos: oben – edel, mitte – ekimas)