Die Reihe “Ausgegraben” stellt in unregelmäßigen Abständen Scheiben vor, die es auch Jahre nach ihrer Veröffentlichung wert sind, nicht im Plattenschrank zu verstauben, sondern noch einmal gehört zu werden. Dieses Mal: Big Country, die es auf ihrem Debüt „The Crossing“ schaffen, die Weiten Schottlands auf Platte zu bannen.
Sie gründeten sich zwar etwas später als die Simple Minds, gelten zusammen mit diesen jedoch mehr oder weniger als Speerspitze des britischen Wavepoprocks – anfangs waren die Simple Minds deutlich elektronischer orientiert – zu Beginn der 80er Jahre. Die Rede ist von Big Country, denen es wohl wie keine andere Band jenseits des Folks mit Dudelsack gelang, die Musik Schottlands hinein in die Charts zu interpretieren. Wer das Debütalbum „The Crossing“ von 1983 in den Player schiebt, hat gleich von Beginn an stets das Gefühl, irgendwo inmitten der Highlands zu stehen, in einem Pub eines kleinen Dorfes Bitter zu trinken oder den weiten Blick über einen der vielen Lochs hinweg zu genießen. Und das, obwohl Big Country durchaus weiter entfernt vom Folkrock rangieren als zum Beispiel Runrig.
Zum einen liegt dies natürlich vor allem an der Musik, wie auch sofort im Opener „In a big Country“ deutlich wird. Was einem entgegenschallt, hat den ganz deutlichen Touch von Folk, obwohl man es nicht wirklich als Folk bezeichnen kann. Die Gitarren von Sänger und Bandkopf Stuart Adamson und Bruce Watson hören sich nicht nur hier immer mal wieder nach Bagpipe an, mit dem E-Bow simuliert Adamson Geigenklänge und produziert so irgendwie ländliche Musikidylle. Außerdem gelingt es ihm, mit seiner Stimme ein Gefühl von Melancholie und Weite zu schaffen. Zum anderen die Texte, die von Themen wie Landschaft, Natur, rauhes Leben und Kampf um dasselbe handeln. Und immer wieder in früheren Zeiten angesiedelt sind, in denen das Dasein den Menschen deutlich mehr abverlangte.
Lange intrumentale Intros
Die beiden längsten Stücke der Platte, „The Storm“ mit 6:21 Minuten und „Porrohman“ mit 7:53 Minuten glänzen durch lange intrumentale Intros. Während „The Storm“ eher durch Besenschlagzeug, Akustikgitarre und E-Bow auftrumpft, herrscht bei „Porrohman“ getragene Stimmung vor, die sich immer weiter aufbaut und -staut, um sich zum Ende des Liedes hin fast schon zu entladen und anschließend sanft zu verhallen. Der Begriff „Rockoper“ ist zwar immer etwas despektierlich, kommt aber der Sache in diesem Falle schon recht nahe.
Visuell wird die Nähe zu Schottland, die auf „The Crossing“ und den Folgealben musikalisch überdeutlich ist, im Film „Restless Natives“, für den Big Country den Soundtrack geschrieben haben. Wenn auch erst zwei Jahre nach der Debütscheibe, im Jahre 1985. Wie gut passen doch die melodiös-rockigen Klänge des Quartetts zur Komödie, in der zwei Jugendliche, maskiert als Clown und Werwolf, auf ihrem Moped durch die Highlands knattern, Touristen um ihre Reichtümer erleichtern und diese Bedürftigen zukommen lassen.
Großer Erfolg bleibt verwehrt
Ihren größten Hit hatten Big Country mit der Single „Look Away“ von ihrer dritten Scheibe „The Seer“, die 1986 erschien. Trotz ihrer Qualität konnten Big Country nie an den Erfolg anderer Bands von der Insel heranreichen, die während der gleichen Zeit zu großen Rockstars wurden. Wie zum Beispiel die Simple Minds, Runrig oder gar U2 aus Irland. 1999 erschien mit „Driving to Damascus“ das bislang letzte Studioalbum Big Countrys, die im Laufe ihrer Bandgeschichte einen eher rocklastigeren Kurs einschlugen, Folkattitüde aus den Augen verloren. Sänger Adamson fand ein tragisches Lebensende: Im Dezember 2001 entdeckte man ihn erhängt in einem Hotelzimmer in Honolulu.
„The Crossing“, ursprünglich 1983 auf dem Label Mercury veröffentlicht, wurde 1996 mit vier zusätzlichen Songs neu aufgelegt, 2012 erschien eine Deluxe-Ausgabe mit sieben zusätzlichen Songs sowie einer zweiten CD mit Remixes und Demoaufnahmen. Wer in die Songs von Big Countrys „The Crossing“ reinhören möchte, kann dies auf der Bandwebsite tun; jeder Song wird etwa eine Minute angespielt – für einen ersten Eindruck allemal lang genug.
www.bigcountry.co.uk/thecrossing
Anspieltipps: In a big Country, Lost Patrol, Porrohman
Songs:
01. In a big Country
02. Inwards
03. Chance
04. 1000 Stars
05. The Storm
06. Harvest Home
07. Lost Patrol
08. Close Action
09. Fields of Fire
10. Porrohman
Musiker:
Stuart Adamson – Gesang, Gitarre, E-Bow, Piano
Mark Brzezicki – Schlagzeug
Tony Butler – Bass, Gitarre
Bruce Watson – Gitarre, E-Bow