Ex-Kraftwerker Karl Bartos, Alchemist elektronischer Musik

Während die gesamte Musikwelt Kraftwerk huldigt, die in Los Angeles einen Grammy für ihre Lebenswerk überreicht bekommen, spielt sich nahezu zeitgleich 9.160 Kilometer entfernt etwas zwar deutlich unbeachteteres, doch kaum weniger wichtiges ab: Karl Bartos, von 1975 bis 1990 Kraftwerkmitglied und an solch epochalen Werken wie „Trans-Europa-Express“, „Die Mensch-Maschine“ und „Computerwelt“ beteiligt, gab in der Kölner Live Music Hall das Auftaktkonzert zu seiner „Off-The-Record-Tour“ 2014.

Konzertfotos von Karl Bartos in Köln

Erstaunlich an diesem Abend: trotz der musikalischen Bedeutung Bartos‘, trotz der Tatsache, dass Musikfans in Scharen, ja zu tausenden, irgendwohin pilgern, wenn das Klangkombinat Kraftwerk einen Auftritt gibt, versammeln sich im ehemaligen Industriegebäude in Ehrenfeld lediglich gut 500 Zuschauer. Diese allerdings bereuen ihre Anreise keinesfalls, bekommen sie doch genau das zu hören und das zu sehen, was jene zu hören und zu sehen bekommen, die ein Konzert Kraftwerks besuchen: nämlich eine geballte Ladung elektronischer Akustik gepaart mit synchronisierter Optik. Und zudem etwas, was die Band Kraftwerk zurzeit nicht bieten kann: neues Songmaterial.

Leistungsschau deutscher Elektromusik

Die letzte Kraftwerk-Veröffentlichung aus dem Kling-Klang-Studio ist über zehn Jahre her (Tour de France Soundtracks, 2003), Bartos‘ jüngste Produktion ist vom Frühjahr 2013 – eben genau jenes den Tourneenamen gebende „Off the Record“. Auf dieser finden sich Melodien, Soundspielereien und Musikideen, die Bartos während seiner Zeit bei Kraftwerk komponiert und ausprobiert und letztlich zu neuen Stücken verarbeitet hat. Da wundert es kaum, dass man als Hörer sofort das Gefühl hat, „hier ist doch Kraftwerk drin“. Und so kommt es, dass die Multimediainszenierung auf der Bühne, der das Publikum beiwohnt, eine Leistungsschau deutscher Elektromusik seit dem Jahre 1977 ist.

Zu „Trans-Europa-Express“ jagt auf drei Videowänden einer jener bekannten Eisenbahnzüge durch deutsche Landschaften, unglaublich berühmte rotbehemdete und ausdruckslose Porträts von Mensch-Maschinen flirren bei „Die Roboter“ über den Bühnenhintergrund und Sinuskurven sowie Piktogramme visualisieren „Heimcomputer“. Wie ein Anachronismus wirken einmal mehr die Bartos’schen Worte „am Heimcomputer sitz ich hier und programmier‘ die Zukunft mir“ – solches haben er und seine damaligen Weggefährten ja schon lange, lange fertiggebracht.

Nicht länger „der zweite von links“

In der Jetztzeit, ohne Kraftwerk, hat Bartos allerdings den ganz großen Vorteil, nicht mehr nur wie früher „der zweite von links“ – gemäß der früheren Bühnenpositionierung der vier Kraftwerker – zu sein. Diesmal ist er derjenige im Zentrum, in der Mitte der Bühne. Neben ihm hat sich zum einen Mathias Black postiert, welcher „Off the Record“, produzierte, zum anderen Robert Baumanns, der meist den Vocodergesang übernimmt. Dass ihm eine solche zentrale Rolle durchaus zusagt, kann man deutlich seinem verschmitzten Lächeln entnehmen, welches Bartos während des Auftritts immer wieder über das Gesicht huscht; über das Gesicht des „Alchemisten der elektronischen Musik“, wie es das zufriedene Publikum zum Ende des Auftrittes hin auf der Leinwand liest. (Fotos: Helmut Löwe)

Konzertfotos von Karl Bartos in Köln

Setlist

– Nummern
– Computerwelt
– The Camera
– Das Model
– I’m the Message
– Heimcomputer
– Reality
– Trans-Europa-Express
– Die Roboter
– Atomium
– Nachtfahrt
– Musica ex Machina
– Without a Trace of Emotion
– Rhythmus
– Life
– Computerliebe
– Taschenrechner
– Tour de France
– Interview
– 15 Minutes of Fame
– Ultraviolet
– Neonlicht
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– TV

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