He, das ist ja echt ordentlicher, klassischer Thrash- oder Powermetal. Mit langem Intro und anschließendem Vollgas- und Riffgebrettere sowie gekonnten zweistimmigen Gitarrenläufen. Und das über 6:16 Minuten. Ja, soweit, sogut, wenn es sich um „Sinking Ship“ handelt, der Opener des neuen Albums „Currents“ aus dem Hause Atlas Losing Grip. Aber irgendwie wird man den Gedanken nicht los, dass auch das Genre Melodic Punk ständig zugegen ist. Denn das Schlagzeugspiel ist doch verdammt simplifiziert, schnell und immer drauflos. Und ein geschickt komponierter Melodiebogen durchzieht das Songmaterial.
Auch bei „Cynosure“, welches mit extraordinärer Rhythmusgitarrenarbeit aufwartet, „Nemesis“, „Cast Anchor“ oder „Through the Distance“ ist der Gedanke an Punkwurzeln ständig zugegen. Tja, und das ist es auch, was der Fünfer aus dem südschwedischen Malmö seit seiner Gründung 2005 und den mittlerweile vier Platten macht: eine gekonnte Verquickung der beiden wuchtigen Musikgenres Punk und Metal. Hier ein bisschen Bad Religion, Pennywise oder Ingite, dort etwas Iron Maiden, Judas Priest oder gar Metallica, aber nie so, als wenn die bekannten Namen stets im Hinterkopf wären. Denn dazu ist das, was Atlas Losing Grip fabrizieren, doch deutlich zu eigenständig.
Auch der neue Sänger hat’s drauf
Ihr viertes Album ist „Currents“, das Thema Ozean ist optisch anhand des Covers und musikalisch über viele Songtitel hinaus präsent. Das mit dem „Cast Anchor“, dem Anker setzen, trifft auf die Zusammensetzung der Band allerdings nicht zu: Hat doch Sänger Rodrigo Alfaros, der auf „Currents“ zu hören ist, der Band den Rücken gekehrt. Eingesprungen ist Niklas Olsson, mit dem Atlas Losing Grip ihre Tour bestreiten und der im Video zu „Cynosure“ singt – und das wirklich sehr ordentlich! Alfaros mischt inzwischen mit seiner ehemaligen Truppe, den Satanic Surfers, munter drauflos.
Das Lob, welches die zuvor genannten Titel einheimsen, gilt aber nicht grundsätzlich für alles, was uns Atlas Losing Grip auf „Currents“ vorsetzen. Denn so einiges aus der Feder der Band leistet sich Schwächen. So zum Beispiel die Akustikballade „Closure“, die das bislang hohe Tempo verlangsamt, zwar nett anzuhören ist, aber der eindeutig etwas Prägnantes fehlt – Massenware. „Kings & Queens“ ist auch nicht gerade etwas, was sich als Alleinstellungsmerkmal einer Band eignet, viele Allerweltsrockmerkmale reihen sich aneinander. Anders dagegen „Cold Dirt“, auch eine Ballade: hier schaffen Cello und Klavier deutlich mehr Wiedererkennungswert, wirken auf den Hörer auffällig.
Musikalische Epik, viele Stärken, manche Schwächen
Hervorzuheben ist eindeutig „Ithaka“, welches ganz klar epischen Charakter aufweist und getrost als Song im Song bezeichnet werden darf: Langsam fängt das Werk an, entwickelt sich zum Uptemporocker um sich dann ab der vierten Minute in ein wirkliches Melodic-Hardcore-Ungeheuer mit klasse Gitarrenarbeit zu verwandeln. Dann aber, knapp zweieinhalb Minuten später, gewinnt wieder sanftes Akustikdahingleiten Oberwasser. Wiederum gut drei Minuten darauf ist damit zwar musikalischer Schluss, doch das „Ithaka“ mit langem und verhallendem Meeresrauschen haucht sich erst nach 11:06 Minuten aus. Da ist sie wieder, die Ozeanthematik. Ein Album, das sehr viele Stärken hat, so wie zum Beispiel die technische Qualität seiner Protagonisten oder das Songwriting vieler Lieder, welches sich allerdings unnötigerweise einige Längen gönnt. Dennoch ein gelungenes Werk!
„Currents“ von Atlas Losing Grip hat 14 Songs und eine sehr lange Laufzeit von 65:08 Minuten. Erschienen ist die Platte bei Hamburg Records und im Vertrieb von Cargo Records.
Anspieltipps: Sinking Ship, Cynosure, Nemesis, The End, Through the Distance, Ithaka
Atlas Losing Grip 2015 in Deutschland
22.01. – Berlin, SO36
24.01. – Nürnberg, MUZ Club
28.01. – Stuttgart, Goldmark’s
29.01. – Franklfurt, 11er
30.01. – Köln, Underground
31.01. – Münster, Sputnik Cafe
12.02. – Hamburg, HeadCrash
13.02. – Wiesbaden, Kulturfabrik
21.02. – München, Backstage